Sie sagen, dass Beziehungen uns glücklich machen. Seit einigen Wochen nutze ich jede Möglichkeit, meine Kopfhörer aufzusetzen und den Forschern einer sehr besonderen Harvard Studie zuzuhören. „The Good Life“ heißt das Buch darüber, das es mittlerweile auch auf Deutsch gibt. Die Harvard-Studie über die Entwicklung Erwachsener könnte die längste jemals durchgeführte Studie über das Leben Erwachsener sein. Über 75 Jahre haben die Wissenschaftler das Leben von 724 Männern verfolgt. Jedes Jahr fragten Sie nach ihrer Arbeit, dem Familienleben, ihrer Gesundheit und selbstverständlich ohne zu wissen, wie sich ihre Leben entwickeln würden. In einem Ted-Talk erklärt der mittlerweile vierte Leiter der Studie und Autor des Buches „The Good Life“, Robert Waldinger: „Die wichtigste Botschaft, die wir aus der 75-jährigen Studie erhalten, ist: Gute Beziehungen machen uns glücklicher und gesünder. Punkt. Wir haben daraus drei wichtige Lehren über Beziehungen gezogen. Die erste ist, dass soziale Beziehungen wirklich gut für uns sind, und dass Einsamkeit tödlich ist. Es zeigt sich, dass Leute, die sozial verbunden sind, mit ihrer Familie, mit Freunden, mit der Gemeinschaft, glücklicher und gesünder sind und leben länger als Leute, die weniger gute Beziehungen haben. Und die Erfahrung von Einsamkeit stellt sich als toxisch heraus. Menschen, die einsamer sind, als sie es sein wollen, finden, dass sie weniger glücklich sind, ihre Gesundheit verschlechtert sich früher in ihrer Lebensmitte, ihre Gehirnfunktion lässt eher nach und sie sterben früher als Menschen, die nicht einsam sind.“

Das widerspricht einer Studie die unter Jugendlichen durchgeführt wurde. Sie wurden über ihre wichtigsten Lebensziele befragt und über 80 % antworteten eines der wichtigsten Lebensziele wäre es, reich zu werden. 50 % aus dieser Gruppe sagten, dass ein weiteres wichtiges Lebensziel wäre, berühmt zu werden.

Ich weiß nicht, ob ich reich oder berühmt bin. Ich finde immer jemanden der von beidem mehr oder weniger ist und eigentlich sind diese beiden Begriffe in ihrer Absolutheit schon eine Überforderung für mich, weil ich mich ja konstant mit den Menschen in Uganda und Äthiopien vergleiche, die ich kennen gelernt habe als ich dort gelebt habe. Und auf der anderen Seite vergleiche ich mich mit allen, die reicher oder berühmter sind als ich – wie wir alle. Der Vergleich zeigt immer in Richtung der Messlatte, die höher ist als unsere Realität gerade abbildet.

Ich weiß aber, dass weder reich noch berühmt sein etwas ist, woran ich denke, wenn eine Freundin mich fragt, ob ich gerade glücklich bin. Dann wandern meine Gedanken sofort zu den Menschen, die mir am wichtigsten sind. Dort wird mein Glück und Unglück geschmiedet. Und mittlerweile wird dieser starke Wert von Beziehungen in meinem Leben nicht nur von meinem Verständnis der Bibel gestützt, sondern eben auch von solchen Studien. Ja, mein Mann und meine Kinder sind mir unendlich wichtig. Ich will die flüchtige und kostbare Zeit mit ihnen verbringen, deshalb arbeite ich von zu Hause und am Abend wenn sie schlafen. Ich arbeite zwar selbstständig, aber in allen möglichen Netzwerken, denn es ist mir manchmal echt wichtiger mit wem ich arbeite, als was ich konkret tue. Ich kenne viele Mütter deren Freundschaften in Kleinkindjahren auf ein Minimum geschrumpft sind – und ich bin so froh, dass ich nicht dazu gehöre. Meine Freunde sind mir ein Schatz und auch wenn ich alle viel lieber häufiger sehen würde, sehe ich sie regelmäßig. Darüber hinaus bin ich Teil einer Kirche, einer bunteren und breiteren Gemeinschaft als meine selbstgewählten Freunde. Eine Gruppe, die mich bereichert, meinen Horizont erweitert und die mich ganz konkret Teil von etwas Größerem sein lässt. Ich müsste also sehr glücklich sein. Und habe schon fast ein schlechtes Gewissen bekommen, dass sich das Glück innerlich gar nicht so einstellt, wenn ich daran denke. Ja, ich bin dankbar. Und ja, vermutlich würde ich in so einer Studie zu den meistens sehr glücklichen Menschen gehören. Gesund bin ich ja auch. Doch mir fehlt etwas, wenn ich an die These denke: Beziehungen machen uns glücklich.

Ich höre dieses Hörbuch beim Spüler einräumen, kochen, Autofahren, zum Einschlafen und in meinem Pausen. Und etwas in mir sucht noch das fehlende Puzzlestück. Und als mich die Neugier über das Hindernis der Schuldgefühle über die eigene Unzufriedenheit lockte entdeckte ich es. Es ist vielleicht ganz individuell und zeigt mir vermutlich auch wieder etwas mehr meinen Platz im Leben – vielleicht ist es aber auch größer und universeller als ich denke.

Es sind nicht nur die Beziehungen zu Menschen, die mich glücklich machen. Nicht nur. Nicht „Ja, aber…!“ sondern „Ja, und …“ Sondern zu allem was lebt. Die Menschen sich vielleicht die wagerechte Komponente der Zufriedenheit und ohne sie ist Zufriedenheit nicht möglich. Doch für mich gibt es auch eine Senkrechte der Zufriedenheit – ich kann dazu keine Studie vorweisen. Doch sie ist mein fehlendes Teil. Die Senkrechte der Zufriedenheit bedeutet, dass meine Füße hier auf der Erde stehen. Auf diesem Planeten in all seiner Schönheit und seiner Verletzlichkeit. Zwischen all den atmenden Pflanzen und den wilden Tieren. Und mein Blick in den Himmel geht. Zu Gott, der lebt und dessen Liebe mein Leben hält und prägt.

„Oh deine Bäume tragen Kronen

Sie sind älter als ich werde

Sie atmen aus ich atme ein

So majestätisch so fragil

(…)

Sie kamen vor mir in deiner Liste

So unentbehrlich sind die Täler und Flüsse“

(Jonnes, Baumkronen)

Die Natur und der Kontakt zu Tieren und Pflanzen ist für mich so eine wahnsinnige Quelle der Zufriedenheit. Menschen haben auch oft Ansprüche an mich, treten mit Wünschen und den Forderungen von Kindergartenkindern an mich heran, dass sie „Jetzt sofort, genau dieses Müsli in genau diese Schale – aber die gelbe!“ wollen zum Beispiel. Die Natur spricht nicht so offensichtlich, die gibt sich mir hin, atmet geduldig weiter und kommuniziert wie die Stute, die ich regelmäßig treffe, auf ihre eigene Weise. Sie will verstanden werden. Sie braucht meine Aufmerksamkeit und mein Wohlwollen. Und wenn ich an der rauen Nordsee den Wind pfeifen höre, wenn mein Blick vom Pferderücken durch den Herbstwald streift, wenn ich meine Hühner im Sandbad die erste Frühlingssonne genießen sehe, wenn ich die Vögel singen höre und die Jahreszeiten beobachte, wie Schnee leise alles in einen gleichmäßigen Schlaf eindeckt und der Sommer unsere Lebensgeister weckt. Dann erlebe ich das Glück. Und sicher macht genau das auch etwas mit meinem Nervensystem, meiner Gesundheit und meinem Blutdruck. Ich kann es nicht beweisen doch die Zufriedenheit ist dann komplett. Meine Gebete brauchen kaum noch Worte, denn umso fester meine Füße auf dem Boden dieser Erde stehen, desto ehrfürchtiger blicken meine Augen in den Himmel. Ich werde glücklich, wenn ich im Einklang mit allem was um mich herum lebt lebe – glaube ich.

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